Gute Vorsätze

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“ Hermann Hesses vielzitierte Verse aus seinem „Stufen“-Gedicht bieten sich wohl auch als Ermutigung für Jahresanfänge an. Erwartungsvoll mit allerlei Vorsätzen gepflastert, führen sie allerdings häufig in die Enttäuschung. Weil sie nicht durchgehalten werden. Getäuscht vom Zuviel?

Die häufigsten Vorhaben zu Jahresbeginn lauten – nebst Klassikern wie Rauchen aufhören: mehr Zeit für sich, mehr Zeit für Familie und Freunde, mehr Sport und Bewegung, mehr Reisen und Erleben, mehr von diesem und jenem. Wir wollen also mehr. Das ist angesichts des üppigen Angebots am Buffet der Wahl- und Handlungsmöglichkeiten auch kaum verwunderlich: „Die Möglichkeit ist des modernen Menschen liebste Wirklichkeit.“ So der treffende Befund des Schweizer Soziologen Peter Gross.

Weniger

Gleichzeitig brachte er aber schon vor Jahren das damit verbundene Dilemma der Multioptionsgesellschaft auf den Punkt: „Die moderne Form der Verzweiflung – sich abstrampeln im Meer der Möglichkeiten.“ Das vermeintliche Glück, dass alle Türen offen stehen, entpuppt sich unversehens als Tyrannei der Wahl. So fand etwa die US-Psychologin Sheena Iyengar in einem Experiment heraus, dass Kunden, die 24 Sorten Marmelade probieren durften, deutlich weniger kauften als jene, die nur 6 testen konnten. Auch andere Expertisen belegen: Die Wahl aus (zu) vielen Möglichkeiten hinterlässt das schale Gefühl, falsch gewählt zu haben. Zudem tritt jede Entscheidung eine Lawine an ungenutzten Möglichkeiten los. Und was ist frustrierender als das subjektive Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben?

ist

Wenn im Gegenzug von Trendforschern die „Vereinfachungssehnsucht“ zum gesellschaftlichen Megatrend erklärt wird, mag das Skepsis hervorrufen. Zumindest fristet der 1991 ins Leben gerufene internationale „Buy nothig day“, der sich jeweils am 27. November jährt, noch ein Nischendasein. Aber wer weiß, vielleicht verleiht ihm die international aktive Occupy-Bewegung mehr Publicity. Darüber hinaus bieten zahlreiche Downshifting-Publikationen und Plattformen plausible Anregungen zum Runterschalten nach der Devise: „Weniger ist mehr.“

mehr?

Downshifting hat nichts mit trivialen Tipps zum Zeitsparen oder mit genereller Verweigerung zu tun. Eher mit gezielter Entrümpelung, um der Tretmühle des Überflusses zu entkommen. Und mit neuer Sinngebung, die nach dem Wesentlichen sucht. Begleitet von der alten Sehnsucht nach etwas, das zunehmend verlorengegangen, aber sinnstiftend ist: Überblick. „Ohne Überblick fehlt uns der wesentlichste Baustein, um Sinn zu erfahren.“ So der Netzwerk-Wissenschaftler Harald Katzmayer in einem Trendreport des Zukunftsinstituts (Newsletter vom 27.01.2015). Umso wichtiger sei, so der Report, die Herstellung sinnvoller neuer Überblicke. Denn Unternehmen, in denen Mitarbeiter den gesamten Zusammenhang der Organisation nicht erkennen, würden strukturell erkranken. Und was krank ist, verliert. Anschluss. Vielleicht sogar das (Über-)Leben.

Nimm Abschied und gesunde!

Überblick hat auch mit Reduktion und Entrümpelung zu tun. Und mit dem Bewusstsein, dass jede Entscheidung für etwas immer auch eine gegen viele andere Dinge ist. Intelligentes Zeitmanagement heißt also nicht (nur), klug auszuwählen, was man tut, sondern was man dezidiert nicht (mehr) tut. Dazu bietet sich ein zauberhaftes Entrümpelungswerkzeug an: die Not-To-Do-Liste. Nutzen Sie die Gelegenheit. Jetzt. Und lassen Sie sich vom Meer des Immer-Mehr nicht täuschen. Denn Enttäuschung ist das Ende einer Täuschung.

Apropos: Was hatten Sie im vergangenen Jahr im Überfluss? Erstellen Sie Ihre ganz persönliche Liste von Dingen, Aufgaben oder Gewohnheiten, von denen Sie sich verabschieden. Wie lauten Ihre Top 3?

Wie schrieb Hesse am „Stufen“-Ende: „Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!“

Über den Autor:

FJSchweifer

Mag. Dr. Franz J. Schweifer ist Geschäftsführer des Beratungsinstituts „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner, Coaching. Training. Consulting.“ in Mödling b. Wien. Als Temposoph, Zeitforscher, FH-Lektor, Managementtrainer & Coach mit über 20 Jahren Beratungserfahrung hat er sich v.a. auf ZEIT-spezifische Themen und Widersprüche spezialisiert. Und das auf gesellschaftlicher, unternehmerischer wie persönlicher Ebene.

Aktuelle Publikation: (1) Ach du liebe Zeit (2) Zeit – Macht – Ohnmacht

Weitere Informationen über Franz J. Schweifer

 

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